Mitten im Pott: Gelsenkirchen-Bismarck 1973

Als das Ruhrgebiet noch rauchte

Nördlich der Emscher befanden sich bedeutende Bahnanlagen. Gleich hinter Oberhausen gliederte sich mit Gelsenkirchen-Bismarck ein weiteres Eldorado für Bahnfans an – Gleise, Bahnanlagen und Züge, soweit das Auge reicht. Bis heute sieht man von der A42 ausgeprägten Güterverkehr. 1973 stand dies alles noch im Zeichen auch von Dampf. Doch auch Diesel und Strom ist Teil des Artikels.

Nicht durch Reden und Beschlüsse werden die Fragen unserer Zeit entschieden, sondern durch Blut und Eisen.

So heißt es in der Blut und Eisen Erklärung Bismarcks aus dem Oktober 1862. Er hatte sicherlich eine andere Intention, aber wer mag der Aussage widersprechen, blickt man auf die industrielle Entwicklung an der Ruhr, im Guten wie im Schlechten? Blut und Eisen könnte demnach auch der martialische Ausruf einer Zeit sein, die, von harter Arbeit geprägt, Wohlstand und Entwicklung zu versprechen vermochte. Dieses Versprechen wurde eingehalten. Bahnbetriebswerke sind hierbei die unerlässlichen Haferkästen der Industriellen Revolution, wo die neuen Zugpferde ihrer Zeit, die Dampfrösser, genauso wie ihre Vorgänger im Warentransport Wasser fassen und ausruhen durften, oder, wenn die Reise für die Fracht noch weiter geht, gegen ein frisches Pferd ausgetauscht werden konnten. Derartige Haferklästen schossen wie Pilze aus dem Boden. Einer dieser Haferkästen der Neuzeit war Gelsenkirchen-Bismarck. Die Haferkästen und Bahnbetriebswerke haben häufig eins gemein: Sie sind Geschichte und nur der Name erinnert noch an die einstige Lokalität. All die Haferkästen-Restaurants wurden spätestens ab den 80er Jahren ergänzt von all den „Zum Lokschuppen“ Lokalen und Veranstaltungsorten.

Doch kommen wir zu Bismarck, Gelsenkirchen-Bismarck. Bahnbetriebswerk und bedeutender Güterbahnhof auf einer Achse zwischen Duisburg und Dortmund, weit nördlich der Ruhr und nördlich der Emscher. Bekannt war Bismarck auch aufgrund ihrer auf den Bildern vielfach zu sehenden Landmarke, der „Bismarcker Zwiebel„. Bei der Bismarcker Zwiebel handelte es sich um den Wasserturm des Bahnbetriebswerks, welcher 1978, nur ein Jahr nach dem letzten planmäßig mit Dampf bespannten Güterzug mit 044 508-0, bereits abgerissen wurde. Die Spuren der Dampflok zu beseitigen hatte sich die als rückständig geltende Bahn der 70er wohl zur höchsten Aufgabe gemacht. Mir bekannt war Bismarck vor allem durch den von der A42 gut zu sehenden Güterbahnhof, an dem wir oft vorbeikamen. „Zu meiner Zeit“ waren die Aktivitäten meines Vaters in Bismarck allerdings schon auf 0 gesunken.

Für ein Bild der Bismarcker Zwiebel musste ich tief ins Archiv greifen und fand am Ende doch nur eine handvoll. Wie es Murphys Law will ist diese Serie aus dem Jahr 1972 auch noch in katastrophalem Zustand. Immerhin, oder besser selbstverständlich, ist die Zwiebel nicht ohne Dampflok abgelichtet. Wir sehen 44 465 gerade die Drehscheibe verlassen.

Wer die Zwiebel auf die Modellbahn stellen will, für den hat kibri ein detailgetreues Modell für die Spurweite H0 im Angebot.

Bekannt wurde Bismarck auch überregional als das Auslauf-Bahnbetriebswerk für die kohlegefeuerte Baureihe 44 in den 70ern, die dort tatsächlich noch bis Mai 1977 im Einsatz waren. Ebenso unrühmlich hat Bismarck auch als letzter Stationierungsort übrigens die Baureihe 200 aus dem Plandienst heraus zu Grabe getragen. Offiziell war 1991 endgültiges Ende rund um den 16-ständigen Lokschuppen mit seiner 23m Drehscheibe in Bismarck. Der bereits 1992 gegründete Verein Freunde des Bahnbetriebswerks Bismarck Förderverein e.V. Gelsenkirchen ist hier mehr als eine Erwähnung wert, denn sie halten das verbliebene, nicht dem Bagger zum Opfer gefallene Areal für Besucher instand und öffnen ihre Tore dem interessierten Besucher regelmäßig. Ihnen ist es zu verdanken dass an der Grimbergstraße in Gelsenkirchen auch heute noch die Schiene den Ton angibt.

Roco 051 520-5 im Original

Der Modellbahnhersteller Roco hat die Dampflok 051 520-5 bzw. 50 1520, wie sie vor ihrer Umnummerierung bis 1968 hieß, in ihrem Programm. An jenem Tag in Gelsenkirchen-Bismarck ist meinem Vater eben diese Maschine auch vor die Linse gekommen und liefert ein weiteres Zeugnis des Untergangs der Dampflokära. Zunächst ist sie gar nicht zu erkennen, denn 051 225-8 hat sie hinter sich am Haken. Das verheißt schon nichts Gutes.

Bei der Vorbeifahrt wurde ein weiteres Foto von Dampflok 051 520-5 gemacht, die schon längst ihrer Lokschilder beraubt ist und ein trauriges Bild abgibt. Das Triebwerk ist ebenfalls bereits entfernt und Druck wird der Kessel auch nicht mehr halten können. Eine gute Frage ist allerdings was sie in Bismarck machte, schließlich wurde sie bereits 1972 im Bw Wanne-Eickel, welches sich südöstlich von Gelsenkirchen befindet, ausgemustert.

Bahnübergang Reckfeldstraße

Die beiden oberen Aufnahmen wurden bereits am Bahnübergang Reckfeldstraße gemacht. Hierhin hat es meinen Vater einige Male gezogen und es entstand noch weiteres Material vom Bahngeschehen Mitte der 70er Jahre in Gelsenkirchen-Bismarck. Der Bahnübergang lag insofern günstig, als dass er östlich des Bw und des Güterbahnhofs Bismarck lag, gut zu erreichen ist und wenige Meter entfernt fußläufig die Erzbahntrasse verlief. Bilder davon finden sich im Artikel Werksbahn und mehr – Streifzug durchs Ruhrgebiet.

Bleiben wir noch ein wenig am Bahnübergang, sehen wir recht schnell dass auch in Bismarck der Traktionswandel vollzogen wird. Zunächst begegnet uns eine kohlegefeuerte 44, genauer 44 1322 bzw. 044 322-6 vor einem Güterzug.

Im Juni 1975 wurde die 1943 von Krupp gebaute Lok mit der Seriennummer 2744 schließlich ausgemustert und fiel dem Schneidbrenner zum Opfer. Obiges Bild zeigt 44 1322 noch in einem für die Zeit recht guten Zustand. Da habe ich schon heruntergekommenere Loks gesehen die teilweise noch deutlich im Dienst standen.

Kommen wir zum Traktionswandel, denn der Bahnübergang und die Strecke war an diesem Tage prädestiniert um ihn zu dokumentieren. Nur wenige Bilder weiter wanderte folgendes Motiv auf den Film:

Dass man es mit altem Filmaterial zu tun hat zeigt nicht nur die physikalisch bescheidene Qualität des Filmmaterials, in deren Kratzer sich schon so mancher Teerrest des Pfeifentabaks meines Vaters gesammelt hat. Vor allem zeigt es mit 150 121-2 die Wachablösung der schweren Güterzug-Dampflokomotiven der Baureihe 44 durch die E-Lok der Baureihe E50, die zu diesem Zeitpunkt 8 Jahre jung ist und heute bereits nicht mehr existiert. 2001 landete sie zur Verschrottung in Opladen.

Die frühen und auch noch mittleren Siebziger-Jahre müssen ein Eldorado für Bahn-Enthusiasten gewesen sein, schließlich musste man sich im Ruhrgebiet nur irgendwo an eine Strecke stellen, und praktisch von jedem Punkt aus ist eine Achse irgendwo eine nur einen Steinwurf entfernt, und man hatte die Chance sowohl auf Wasser, Diesel als auch Strom. So geschehen auch an diesem Tag. V160 040 bzw. 216 040-6 kam Lz mit einer weiteren, nicht identifizierbaren V160 des Weges.

Bleiben wir noch für zwei Bilder am Bahnübergang. Die nächste Aufnahme zeigt eine sehr typische Zuggattung, wie sie seit den 60er Jahren bis in die späten 80er Jahre auf den Schienen in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus zu sehen war. Eine V100 zieht einen Zug bestehend aus mehreren Umbauwagen. Dies war das Bild des gewöhnlichen Nahverkehrs in den 70er Jahren, meinem Vater war es ein Dia wert. Wir sehen  V100 2266 bzw. 212 266-1 als EDV-Nummerierung. Die V100 hat das selbe Baujahr wie die E50 zuvor, 1965. Sie war zeitweise auch im Bergischen stationiert und sollte noch einige Male durch den Fokus der Kamera(s) meines Vaters fahren.

Für die letzte Aufnahme mit Blick auf den Bahnübergang üben wir uns noch mal in Dampf. Wie sollte es auch anders sein, kreuzt eine 44er, genauer 044 660-9 Tender voran den Bahnübergang. Die unter Nummer 44 1660 bei der deutschen Reichsbahn 1943 eingegliederte Krupplok war nach dem Zweiten Weltkrieg im Ruhrgebiet heimisch geworden. Stationiert war sie in Duisburg-Wedeau, Wanne-Eickel und zuletzt Gelsenkirchen-Bismarck, wo sie schließlich den Mai 1975 nicht überlebte. Am 27.05.1975 wurde sie ausgemustert und noch im selben Jahr in Braunschweig zerlegt.

Von der anderen Seite kam dann noch eine weitere 44er Lz die Strecke Richtung Herne hoch. Es handelt sich um 44 1316 bzw. 044 316-8 die gerade den Gbf Bismarck verlassen hat. Das Bild ist insofern interessant, als dass es Fragen endgültig beantwortete, die im Rahmen der Echtdampf-Gartenbahn und Lichtwechsel bei Fahrtrichtungsumkehr aufkamen. Wie man sehen kann wurde sie vom Zugschluss aus fotografiert. Und doch bewegt sie sich vorwärts, wie sowohl die Stellung der Steuerung, als auch die geöffnete Zylinderentwässerung verrät. Fortan nehmen wir es im Garten auch nicht mehr so genau – schon gar nicht tagsüber oder beim Rangieren.

Oberhalb des Tenders kann man einen Schornstein des Bw Gelsenkirchen-Bismarck erkennen. Die Bismarcker-Zwiebel versteckt sich hingegen hinter der Lok. Die Gebäude rechts stehen noch, haben aber keinen Bezug zum Bw.


Lady of Bismarck

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Rheiner 41 360 den Beinamen „Lady of Bismarck“ erhielt, da sie von der Interessensgemeinschaft eine ganze Zeit lang in Gelsenkirchen-Bismarck ihre neue Heimat fand und nach dem Dampflokverbot das Land erneut eroberte und auch dem Bw Gelsenkirchen-Bismarck zu neuer Bekanntheit verhalf. Inzwischen steht 41 360 allerdings in Oberhausen-Osterfeld und ihr Einsatz ist nach dem eröffneten Insolvenzverfahren der Dampfloktradition Oberhausen leider ungewiss.

Hat Dir der Artikel gefallen? Mit einem Klick kannst Du mir eine Rückmeldung geben:

1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne
(4,75/5, 4 Bewertungen)

Oder gibt es etwas zu beanstanden? Schreibe mir einen Kommentar!


Beim Klick auf den Einkaufswagen wirst Du zu PayPal weitergeleitet. Danke für Deine Wertschätzung für Posten17!


Sharing is caring
Unterstütze meine Arbeit in dem Du sie teilst!

Permalink (für Verlinkung): https://posten17.de/bahnbetriebswerke/gelsenkirchen-bismarck-1973/

Kartenansicht

Die Kartenansicht enthält alle Bilder, zu denen Standorte bekannt oder rekonstruierbar sind. Da es sich um historische Aufnahmen handelt, sind dies natürlich Näherungswerte und nicht auf den Meter genau.

7 Kommentare


Ich habe alles gegeben, jetzt bist Du am Zug!

Hast Du einen Fehler gefunden, eine Ergänzung oder möchtest Du einfach in Erinnerungen schwelgen und sie teilen? Teile sie mit!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert