Auf zur Reko 01.5 nach Bebra

Reichbahndampf im Bundesgebiet

Nach dem Zweiten Weltkrieg verblieben viele Loks an ihren Orten, wo sie zu Zeiten des Krieges ihren letzten Einsatz fanden. Das hatte spätestens nach der Teilung Deutschlands und der Abschottung der Ostzone zur Folge, dass für den Eisenbahnfotografen viele Motive praktisch unerreichbar waren. Aber es gab Transitzonen, an denen man Reichsbahndampf schnuppern konnte.

Eine dieser Zonen war Bebra. Was heute ziemlich zentral in Deutschland liegt, war bis zur Wiedervereinigung nahe der innerdeutschen Grenze. Wie es sich für einen Grenzbahnhof gehört, wurde fleißig umgespannt. Mein Vater war 1972 gleich zweimal in die Region gereist. Einmal am 11. September 1972 direkt nach Bebra und im gleichen Jahr noch einmal am 21.12. für zahlreiche Streckenfotos – allen voran nächst Hönebach und Ronshausen. Der gesamte Stapel umfasst gut 100 Dias, wovon viele glücklicherweise als Papierabzug beschriftet im „Papierarchiv“ Details liefern, die diesen Artikel erst möglich machen. Er behandelt die Bilderserie aus dem September direkt in Bebra – dem Tag des Terroranschlags bei den Olympischen Spielen in München. Die Frage „Wo warst Du, als…“ kann ich stellvertretend für meinen Vater also mit Bebra beantworten. Dass das Wetter alles andere als günstig für Fotografen war, beantworten die Dias, die ohnehin schon bessere Tage gesehen haben. Die anderen Serien werden selbstverständlich auch noch veröffentlicht.

Zur Zeit des Besuchs, von dem die Bilder dieser Serie hier im Artikel erzählen, hat die Deutsche Reichsbahn der DDR vor die Züge noch vor allem Lokomotiven der Baureihe 01.5 gespannt. „Noch“ ist hierbei das wichtige Stichwort und ziemlich sicher der Grund der mehrfachen Besuche meines Vaters in diesem Jahr, denn man munkelte, der Betrieb mit Dampfloks könne schon zum Fahrplanwechsel 1972/1973 auf Diesel umgestellt werden. Es schien die letzten Chance auf eine Reko 01 und der Ort war gerade in diesem Jahr deshalb beliebt bei Eisenbahnfotografen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bis vor wenigen Tagen selbst noch nicht einmal den Ortsnamen kannte. Doch wie sollte ich auch, lag das Treiben immerhin neun Jahre vor meiner Geburt.

Die ersten drei Bilder zeigen 01 0530-4, die bereits vor D1099 gespannt ihre Reise Richtung Stralsund beginnt. Dem voraus geht allerdings noch eine Bewirtschaftung im Bw Bebra. Hiervon gibt es natürlich auch Aufnahmen. Ohnehin wurde in Bebra fleißig „draufgehalten“. Ein Jammer, dass der Agfachrome CT 18 im Laufe der Jahre bereits so nachgelassen hat. Höchste Zeit zu retten, was zu retten ist und hier der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen!

Eine weitere Aufnahme zeigt die Lok vor D1099 im Bahnhof Bebra. Licht war Mangelware. Man hatte ja nichts, früher…

Drei Nummern – eine Lok

Kommen wir zu einer weiteren Hochkantaufnahme und widmen uns etwas mehr der 01 0530-4, die in diesem Artikel sehr präsent ist.

01 0530-4 ist die EDV Nummer der Lok 01 530. Diese Nummer erhielt sie im Jahr 1964, als sie von der damaligen Deutschen Reichsbahn der DDR im berühmten RAW Meinigen mit 34 anderen Maschinen eine umfangreiche Neukonstruktion erfuhr. Der Ursprung der Lok geht zurück in das Jahr 1937. Bei Henschel & Sohn in Kassel erblickte sie unter der Fabriknummer 23469 das Licht der Welt, welches schon sehr bald sehr finstere Züge annehmen sollte. Die damalige Deutsche Reichsbahn vergab ihr die Nummer 01 221 unter der sie bis 1964 fuhr.

Interessante Randnotiz zum Bild: Es fehlt das Gattungsschild. Als Spätgeborener, der Dampfloks nur im Museums- und Sonderfahrtenbetrieb kennt, ein ungewöhnliches Bild. 1951 wurde die Verpflichtung zum Gattungsschild aufgehoben und davon hat man Gebrauch gemacht. Heute gehört das Gattungsschild wieder zum gewohnten Bild einer Dampflok.

Was sich mein Vater glücklicherweise noch abgewöhnt hat ist die Lok mit abgeschnittenen Puffern zu fotografieren. Nun ja, vielleicht ließ die Festbrennweite nicht ausreichend Spielraum.

Was aus 01 0530-4 geworden ist? Mir liegen keinerlei Informationen vor, noch konnte ich erbauendes aus dem Internet ziehen.

Eine weitere und letzte Ansicht zeigt den Zug im Nachschuss. Hier hat man zwar wieder Licht, aber es kommt von der falschen Seite.

Eine wesentlich schönere Aufnahme liefert das Papierarchiv:

Freundlichere Zeiten brechen an, wenn wir uns 01 0501-5 widmen. Wagen wir hier noch mal einen direkten Vergleich. Zunächst schauen wir uns das im Jahr 2017 digitalisierte DIA an, welches alle Nachteile der Alterung in sich vereint:

Die Farben sind trotz EBV kaum zu retten und von Schärfe kann gar keine Rede mehr sein. Es existiert noch eine Papierversion, die unmittelbar zuvor geschossen wurde. Ich kann nicht sagen, ob mein Vater mit zwei Kameras bewaffnet war oder es sich hierbei um einen Papierabzug vom Dia handelt. Beachtlich ist aber der qualitative Unterschied:

Von einer alten Diskussion weiß ich jedoch, dass er zeitweise mit zwei Kameras unterwegs war. Dieses legte er nach eigenen Angaben jedoch wieder ab, weil man damit nicht mehr Qualität erzeugt, sondern die fotografische Qualität beider Filme darunter leidet. Qualität statt Quantität war hinterher das Motto. Die Serie aus Bebra sieht zumindest danach aus, dass er hier genau diese Erfahrung gemacht hat. Aber wer will es verdenken? Mit einem Renault 4 fährt man nicht „mal eben“ von Remscheid nach Bebra. Wenn man es dann doch macht, will man natürlich möglichst viel von der Reise mitbringen.

Bleiben wir noch ein wenig in s/w, denn beim Rangieren wurde 01 0501-5 ebenfalls abgelichtet. Außerdem liefert diese Aufnahme einen Blick auf den Wassertum in Bebra, wo sich heute ein Eisenbahnmuseum befindet.

Einen Moment zuvor sieht man die Lok, ebenfalls beim Rangieren, im Kontext zum Bw / Bahnhof. Außerdem sehen wir auf der Aufnahme das Stellwerk „Ln“.

Ein gerade noch passables Dia vom selben Standort, wie 01 0501-5 aus dem BW ausrückt, gibt es ebenfalls:

Die Ausfahrt von 01 0501-5 vor D199 Frankfurt/Main – Frankfurt/Oder wurde ebenfalls festgehalten. Hier steht sie noch am Bahnsteig:

In der nächsten Aufnahme macht sie sich dann bereits auf den Weg. Das Licht fällt günstig und das hat nicht nur direkten Einfluss auf die Ausleuchtung des Bildes, sondern auch indirekt auf die Alterung, denn es sind vor allem die dunklen Bereiche eines Dias, die über die Jahre wie ein Tropfen Farbe im Wasser das gesamte Dia absaufen lassen.

Eine letzte s/w Aufnahme konnte noch als Papierbild gefunden werden. Wieder fehlt die Hälfte von der Lok. Ein Zustand, den man sich heute kaum noch erklären kann, wo Objektive vom Weitwinkel bis in den Telebereich zoomen können. Hier musste man sich wohl auf das Wesentliche konzentrieren. So ist der Bildausschnitt natürlich ausbaufähig, aber die Schärfe und Qualität rechtfertigt eine Veröffentlichung schon zu dokumentarischen Zwecken allemal, oder? Interessant an der Aufnahme auch, dass man hier einmal sehr deutlich sieht wie spitz die Rauchkammer der 01.5er war (bzw. bei den Museumsloks noch ist).

01 0519-7 an D1097 – Düsseldorf – Dresden

Damit kommen wir zum letzen D-Zug, der an diesem Tag festgehalten wurde. Es handelt sich um D1097 von Düsseldorf, der ab Bebra seine Reise weiter Richtung Dresden antritt. Als Zuglok kommt 01 0519-7 zum Einsatz. Die Bildqualität ist miserabel. Möglicherweise ist mein Vater auch gar nicht mit dem Auto, sondern mit eben jenem D-Zug aus Düsseldorf angereist. Das würde zumindest erklären, weshalb sich der Aktionsradius an diesem Tag auf den Bahnhof beschränkte.

Und immer dann, wenn man ein qualitativ schlechtes Bild findet, sollte man einen Blick ins Papierarchiv werfen. Et voilà, so – nur dann noch in Farbe – könnte das Bild heute noch aussehen, vorausgesetzt man könnte die chemischen Prozesse im Dia stoppen. Interessant am Rande, dass mein Vater für den Papierabzug die Passanten auf dem Bahnsteig nicht berücksichtigt hat. Dabei machen meiner Meinung nach viele seiner Bilder durch das Drumherum erst den Reiz aus.

Die bis dato letzte Aufnahme zeigt erneut 01 0519-7 Lz vor dem Bahnhof Bebra, der sich in Aufnahmeposition im Rücken meines Vaters befindet. 01 519 rangiert, nachdem sie D1097 nach Bebra brachte, gerade Tender voraus in Richtung Bw. Die Aufnahme entstand auf der Brücke der Bahnhofsstraße, die in die Giffershäuser Str. übergeht.

Leider ist auch 1972 in Bebra schon allerhand Oberleitung im Weg um wirklich schöne Fotos von Brücken schießen zu können. Sei es drum…

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Kartenansicht

Die Kartenansicht enthält alle Bilder, zu denen Standorte bekannt oder rekonstruierbar sind. Da es sich um historische Aufnahmen handelt, sind dies natürlich Näherungswerte und nicht auf den Meter genau.

Ein Kommentar

  • Sven Stuebner schrieb
    | » Antworten

    Wie schön diese Aufnahmen von damals zu sehen und dabei alte Bekannte zu finden denn 01 519 ist seit Ende 2015 wieder betriebsfähig aufgearbeitet.


Ich habe alles gegeben, jetzt bist Du am Zug!

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