Um ein Haar hätten wir dieses historische Ereignis verpasst. Meinem Vater ging es nach eigenem Bekunden nämlich gar nicht gut. Die Currywurst des Vortags verlangte noch immer seine volle Aufmerksamkeit. Aber der Drang zur Lok war höher als der Drang der Natur. Außerdem ging es darum, sich von der Strecke von Lennep ins Oberbergische zu verabschieden.
Die Stecke auf obigem Bild ging von Remscheid-Lennep ab ins Oberbergische bzw. ins Rheinland. Für mich war sie mit dem Fahrrad gut zu erreichen und ich freute mich wie ein Schneekönig, wenn ich dort eine der wenigen Güterzüge erspähen konnte, die dort noch verkehrten. Ansonsten war die Strecke seit dem 31.05.1986 für den Personenverkehr gesperrt. Die Route mit dem VT-98, wie sie wohl tausende Jugendliche zur Berufsschule nach Dieringhausen genommen haben, war für immer dicht.
Der Abschnitt zwischen Remscheid-Lennep und Remscheid Bergisch-Born ist genau einen Tag, nachdem die 64 194 die Silberlinge über die Trasse zog, auch für den Güterverkehr gesperrt worden. Die Strecke war damit also offiziell stillgelegt und die 64 die letzte Lok auf der Strecke.
Über Solingen kam der Zug ins Bergische und so konnten wir die erste Aufnahme in der Morgensonne am Remscheider Berg in Höhe Oberreinshagen kurz vor Güldenwerth machen.
Für gewöhnlich haben auch die Sonderzüge in Remscheid Hbf Aufenthalt und so hat man die Chance, den Zug hinter dem Hauptbahnhof noch einmal abzulichten. Am Hauptbahnhof konnte man sie aus dem Auto heraus qualmen sehen und so positionierten wir uns hinter dem Hauptbahnhof in Höhe Mixsiepen. Meist haben die Dampfloks dort ihren Regler noch auf und kämpfen sich über die letzten Meter Steigung, bevor es kurz danach bis Wuppertal nur noch bergab geht. So war es auch an jenem kalten Dezembermorgen. Die 64 gab alles.
64 491 auf der Oberbergischen Strecke
Angekommen in Remscheid-Lennep machte der Zug Kopf, um dann über die heute als Balkantrasse bekannte Strecke ab Lennep „hoch“ ins Oberbergische zu fahren. Dann allerdings mit der V100 voraus. Wir sehen 212 327-1 auf der Strecke hinter dem Lenneper Bahnhof Richtung Bergisch-Born. Zwei Korrekturen seien direkt erwähnt: Zunächst mal ging es nämlich vom Bergischen ins Oberbergische gar nicht hoch, sondern runter. Vor allem von Bergisch-Born bis Hückeswagen kann man gut rollen lassen. Zum anderen ist es zwar die selbe Trasse, aber nicht die selbe Strecke, weshalb Balkantrasse eigentlich nicht korrekt ist.
Die Strecke ist zu diesem Zeitpunkt bereits längere Zeit hier nur noch eingleisig. Genauer gesagt waren es schon immer zwei eingleisige, also unterschiedliche, aber bis Bergisch-Born parallel zueinander verlaufende Strecken. Die eine bog dann ab Bergisch-Born ab ins Oberbergische, die andere ging Richtung Opladen runter ins Rheinland. Letztgenannte trägt den prägnanten Titel „Balkan-Express“, da die serpentinenartige Streckenführung wohl an den Balkan erinnert.
Um es auf die Spitze zu treiben: Beide Strecken mündeten nicht auf der Hauptstrecke in Remscheid-Lennep, sondern ihrerseits ebenfalls wieder auf einer Nebenbahnstrecke, nämlich der alten Verbindung von Remscheid-Lennep nach Radevormwald-Krebsoege. Diese Strecke ist allerdings bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs zurück gebaut worden. Rudimente der Trasse in Lennep erinnern noch an sie. Außerdem gibt es noch den Eisenbahntunnel unter der „Trecknase“, einer der meistbefahrenen Kreuzungen Remscheids.
Der Zug macht sich nun auf den Weg nach Wipperfürth. Der Abschnitt hinter Wipperfürth bis Marienheide wurde bereits Mitte der 80er Jahre abgebaut. Deshalb endete der Sonderzug in Wipperfürth, machte erneut Kopf und fuhr zurück Richtung Remscheid. Wir blieben dran!
Da der Zug Halt in Bergisch-Born machte, war es für uns eine ideale Gelegenheit ihn noch mal direkt hinter dem Bahnhof zu erwischen. Heute ist der Bereich zumindest von einer Seite durch Industrie geprägt. Dort wurde in den letzten Jahren das Industriegebiet Bergisch-Born voran getrieben. Wie alle neu erschlossenen Industriegebiete, inklusive auf den alten Bahnanlagen in Remscheid-Lennep, natürlich ohne Gleisanschluss. Güterverkehr geht hier über die A1. Dass uns die Favorisierung des Individualverkehrs noch auf die Füße fällt kann man bereits seit geraumer Zeit täglich erleben, wenn man mal eben von Remscheid nach Lennep möchte. Dies wäre aber eine andere Geschichte.
Wir sehen nun den Zug auf der stark abfallenden Strecke hinter Bergisch-Born in Richtung Hückeswagen. Dem Bild ist mit dem weitläufigen Blick durchaus die an diesem Tag vorherrschende klirrende Kälte anzusehen. Die Silberlinge reflektieren die tief stehende Sonne und überstrahlen somit immerhin das Graffiti.
Heute ist auch dieses Teilstück idyllischer Fahrradweg. Hückeswagen hat, wie so viele Orte der Region, mit der Eisenbahn nichts mehr am Hut. Kein Wunder dass es da auch um die Modellbahn schlecht bestellt ist. Wie soll der Nachwuchs auch die Eisenbahn kennen lernen? In Hückeswagen wurde ebenfalls Halt gemacht, sodass man weiter verfolgen konnte und den Zug am alten Bahnübergang Bevertralstraße in Hückeswagen erwischte. Noch immer führt 212 327, doch das sollte sich bald wieder ändern.
Von diesem Standort gibt es noch einen „Nachschuss“ auf 64 491.
Der Zug fährt nun weiter bis nach Wipperfürth, wo er nach kurzen Aufenthalt erneut Kopf macht und die Strecke zurück Richtung Remscheid-Lennep in Angriff nimmt. Dann führt wieder 64 491 und dann geht es auch von Wipperfürth bis Lennep praktisch durchweg den Berg hoch. Für das nächste Bild, welches den Zug bereits bei der Rückfahrt zeigt, haben wir uns an einem Punkt positioniert, den mein Vater schon seit den späten 60ern gerne aufgesucht hat. Wir sind im Ortsteil Hämmern in Hückeswagen und blicken weitläufig auf die Strecke. 64 491 hat hier bereits gut zu tun. Leider lag der Fokus daneben, der Weißabgleich hatte Probleme und die Bildqualität lässt erheblich nach und nur der Vollständigkeit halber sei es hier veröffentlicht:
Begeben wir uns wieder in die Heimat nach Remscheid. Mit sichtbar besserer Qualität erwischen wir den Zug, den Halt in Hückeswagen Bf nutzend, wieder kurz vor der Einfahrt in Bergisch Born bei Dreibäumen. Wir sehen eine Aufnahme, die unmittelbar vor dem Zeitpunkt des Artikelbildes ganz oben entstand:
64 491 quält sich geradezu die Steigung von Hückeswagen nach Remscheid-Lennep hoch, an der heute so mancher untrainierter Fahrradfahrer auf der ausgebauten Bahntrasse gerne verzweifelt. Nicht ohne Grund gibt es genau in diesem Bereich, heute allerdings deutlich zugewachsen, Rastmöglichkeiten. 64 491 musste nicht rasten, zur Not hätte auch 212 327 nachgeschoben.
Das nächste Bild war schon in der Ursprungsversion des Artikels, allerdings war es dort falsch verortet, nämlich hinter Bergisch-Born. De facto, das ergibt es die komplette Serie, ist es an selbiger Stelle bei Dreibäumen entstanden. Es war keinesfalls so, dass der Zug sehr langsam war oder gar stand. Es war nicht nur einfach saukalt, es blies auch noch ein gehöriger Wind, der gar nicht zuließ, dass sich der Dampf und Rauch der Lok für ein Postkartenmotiv üblich über den Zug legt. Das macht aber auch nichts, denn auch der Zug mit den teilweise besprühten Silberlingen lässt nicht unbedingt Postkartenatmosphäre aufkommen.
Das nächste Bild, bedürfte es einer Beweisführung, macht die Sache dann endgültig klar wo wir stehen. Im Hintergrund sehen wir Elotherm, die schon Anfang der 90er die ersten waren, die im Industriegebiet Bergisch-Born heimisch wurden. Auf der Lok ist kaum weniger los als in den gut gefüllten und bereits erwähnten Silberlingen, die durchaus einen Stilbruch darstellen, aber man nimmt halt was man bekommt. Die Diskussion um ungünstige oder ungeeignete Wagenparks ist wohl so alt wie die Sonderfahrt selbst. Mittig rechts am Bildrand sieht man die alte Seifensiede bzw. Abdeckerei oder formell Tierkörperbeseitigungsanstalt TBA Bergisch-Born. Hier wurden nicht nur Frettchen und Kaulquappen beseitigt, sondern so manches Rindvieh und Pferd ging hier durch den Kamin.
Ein heute unvostellbarer Zustand welchen Geruch dies auch auf Entfernung zu entfalten vermochte, wenn der Wind nur ungünstig genug stand. Und selbst etliche Jahre nachdem die Anstalt geschlossen wurde, lag noch immer der Geruch von Kadaver in der Luft. Erst 2014 wurde dem ein Ende bereitet, die „Stinkfabrik“ verschwand. Das mittlerweile dort erschlossene Industriegebiet wird es ebenso freuen wie die Anwohner in der Nähe.
Schauen wir wieder auf den Zug und widmen uns angenehmeren Gerüchen. Mittlerweile hat 64 491 den Bahnhof Bergisch-Born erreicht. Gut dass man auf dem Bild ohnehin nicht viel sieht, so kann man sich auch den Hinweis darauf verkneifen, dass nichts des alten Bahnhofs noch vorhanden ist.
Mittlerweile ist der Zug wieder in Lennep angekommen. Allerdings bedienen wir uns hier eines Kunstgriffs, den ich gar nicht so genau erklären kann. Weder von Bergisch-Born, noch von Mixspiepen weiter oben wäre es auch unter Mißachtung sämtlicher Verkehrsregeln möglich gewesen den Zug hier zu erwischen. Keinen Schimmer wie dieses Bild möglich wurde! Umso schöner dass es existiert.
Im Hintergrund des Zuges erhebt sich nicht etwa ein Kirchturm, wir blicken auf das alte „Schwesternheim“ oder „Mädchenheim“ der Kammgarn-Siedlung in Remscheid. Die Kammgarn Siedlung hat die Fa. Wülfing und Sohn, ehemals die Krupps des Textilwesens, für ihre Mitarbeiter bauen lassen. Feudal, feudal. Mitte der 90er verkam die Siedlung allerdings mehr und mehr zum sozialen Brennpunkt, trotz schöner Architektur.
Es gab immer mal wieder zarte Bemühungen von verschiedenen Seiten, die Strecke ins Oberbergische zu reaktivieren. Dieses ist jedoch nie geschehen. Der Schienenersatzverkehr fährt bis heute noch von Remscheid-Lennep nach Köln. Die alte Trasse hingegen wird jetzt stark von Radfahrern, Joggern und Inline-Skatern genutzt, nachdem sie komplett zugewuchert war und meterhohe Birken das Schienenbett säumten. Zahlreiche Devotionalien wie Weichenlaternen, Hektometersteine, Fernmelder und mehr sind heute in liebevoller Kleinarbeit an der Trasse neu aufgebaut und erinnern an die einstige Verbindung von Remscheid-Lennep ins Oberbergische.
Noch einmal Wuppertalbahn
Nachdem das Oberbergische einmal von Bergisch-Born aus erkundet wurde, möchte 64 491 auf ihrer großen Abschiedstour durch Westdeutschland auch noch mal über Wuppertal-Rauental Richtung Oberbergisches. Weit wird sie nicht kommen, denn die Wuppertalsperre hat die Trasse bereits seit Jahrzehnten überflutet. Doch bis Beyenburg kann man es ja durchaus noch mal wagen.
Von Lennep aus ging es deshalb zunächst weiter nach Wuppertal-Rauental. Am dortigen Güterbahnhof wurde erneut Kopf gemacht, um die altehrwürdige Wupperschiene, die heute im Besitz eines Fördervereins ist, zu bedienen.
Bis 1998 wurde die Strecke noch für den Güterverkehr genutzt. Bedient wurde die dort ansässige Firma Erfurt Rauhfaser. Nach einem Hangrutsch auf die gerade sanierte Strecke wollte niemand für die Kosten der Beseitigung der Schäden aufkommen. So stand diese Strecke still und die Verbindung von Beyenburg nach Oberbarmen war erst einmal Geschichte.
Im Dezember 1995 zog Lok 212 327-1 eben jenen Dampfsonderzug nach Beyenburg hinauf. Wir erwischten ihn in Wuppertal-Kemna.
Schließlich kam er in Wuppertal-Beyenburg an. Auf dem Bild sieht man 64 491 noch am Zugschluss, wie die Zugschlussscheibe an der Pufferbohle verrät. Deutlich wird der Maschine bereits eingeheizt, denn in Kürze geht es wieder in die andere Richtung hoch nach Rauental und weiter nach Oberbarmen.
Zunächst wurde aber erstmal Halt gemacht im schon deutlich zugewucherten Bahnhof Beyenburg, dessen idyllische Kurvenlage typisch für die Wuppertalbahn ist. Ebenso ist das Ensemble aus Bahnhofsgebäude nebst Güterschuppen ganz stiltypisch und an vielen Nebenbahn-Bahnhöfen der Region noch immer so anzutreffen, selbst wenn längst kein Zug mehr (planmäßig) fährt.
Getreu dem Motto „In manchen Gegenden ist es einfacherer einen Bahnhof zu kaufen als eine Fahrkarte“ wurden auch die Bahnhöfe an der Wuppertalbahn durchweg an Privat veräußert.
Nach kurzem Halt wurde die Zugschlussscheibe wieder an die V100 geklemmt und der Zug fuhr aus Beyenburg aus zurück Richtung Rauental.
Meinem Vater ist der Tag nicht in guter Erinnerung geblieben. Dieses lag nicht nur an der Currywurst. Die 64 verschwand über Wuppertal-Rauental aus Remscheid durch den Tunnel nach Wuppertal-Oberbarmen und zumindest die Strecke von Lennep nach Marienheide war endgültig Geschichte. Prosit Neujahr sozusagen.
Wieder in Kemna wurde kurz gehalten und ein Bild gemacht. Die Veröffentlichung erspare ich mir hier, denn da steht prägnant ein Starenkasten vor dem Motiv. Sowas passierte meinem Vater in späteren Jahren eigentlich genauso wenig wie unscharfe oder unterbelichtete Bilder. Jeder Schuss ein Treffer und immer wieder denke ich daran, wenn ich irgendwo neben anderen an der Strecke stehe, und die im Digitalzeitalter pausenlos auf den Auslöser drücken um in der Summe doch nur Digitaldatenmüll zu produzieren. So viel habe ich zumindest auch von meinem Vater mitgenommen: Ein Bild reicht, das aber zur richtigen Zeit. Wie bei der Einfahrt in Oberbarmen z.B.:
Schließlich wurde noch einige mit Publikum am Bahnsteig angefertigt, wovon dieses hier exemplarisch veröffentlicht wird.
Der Zug verließ das Bergische Land dann wieder über die Nordbahntrasse in Wuppertal – ohne uns. Die Nordbahntrasse ist auch so eine, die heute ein Radweg ist. Damit war 064 491-4 mit ihrem Sonderzug sozusagen unterwegs als Totengräber. Die Lok selbst, das war der eigentliche Grund der Sonderfahrt, verließ nach der Sonderfahrt ebenfalls die Gleise NRWs. Erst wenige Monate zuvor war sie bereits schon einmal auf Bergischer Runde.
3 Kommentare
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In der Reihe der Fotografen des ersten Bild, stehe ich auch.. 😉
Hallo Rudolf,
ja, soweit ich mich erinnern kann waren da ohnehin ganz schön viele auf den Beinen.
Die haben ja auch eine ordentliche und attraktive Runde gedreht und beerdigt.
Grüsse
Armin
Danke für die Fotos aus der Heimat
Ich habe alles gegeben, jetzt bist Du am Zug!
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