Der Bahnhof Krebsöge (Radevormwald) – Vor dem Abriss

Ein verwunschener Bahnhof an der Wuppertalbahn

Der Bahnhof Krebsöge ist Geschichte, schon eine ganze Weile. Auch die Ortschaft selbst ist in Teilen versunken in den Fluten der heutigen Wuppertalsperre. Einige Bilder konnten aus dem Archiv entnommen werden, die den Bahnhof zur Zeit vor dem Abriss 1974 zeigen. Ende 1973 Bausubstanz ist bereits marode und auch sonst wirkt der Bahnhof in einem schon lange anhaltenden Schlaf.

Da wären z.B. die Bahnhofstafeln am Bahnsteig und Gebäuden, welche auch noch bis zu ihrem Abriss in für die Bundesbahn untypischer Schrift an Kriegszeiten erinnern.  Die Bestrebungen zum Bau der Wuppertalsperre gehen natürlich viel weiter zurück als in die 80er, als der Bau tatsächlich begann und so hing schon lange der drohende Abriss über dem Bahnhof. Verständlich dass man hier nicht mehr investierte, doch von vorne:

Krebsöge ist heute Stadtteil von Radevormwald, welche ihrerseits Mittelzentrum des Kreises Gummersbach ist. Die ersten urkundlichen Erwähnungen Krebsöges gehen zurück auf das Jahr 1514, damals noch als „Krevetz oge“ bezeichnet. Krevet ist eine altdeutsche Bezeichnung für einen Krebs und ist heute noch als Familienname im Rheinland bekannt. Oge oder die heutigen „Ögen“ „längs der Wupper“ sind die regionale Bezeichnung für Auen. Historiker wissen zu berichten dass es „dort unten“ einst von Krebsen nur so gewimmelt haben soll bis die Krebspest, eine Krankheit aus Amerika, 1888 für ein jähes Ende der Krebse an der Wupper gesorgt hat. Eingeschleppt wurde dieser Erreger vermutlich durch die Bahn bzw. den Bau der Bahn selbst.

Denn einige Jahre zuvor, 1883, wurde der Bau der Eisenbahn nach Krebsöge beschlossen um primär die damalige Industrie, allen voran die Hämmer, die Tuchindustrie und die Brauerei an der Wupper Krebsöges zu erschließen. 1886 fand die Eröffnung der Strecke statt, die von Lennep ausgehend über Krebsoege nur ein Jahr später bis Dahlerau verlängert wurde. Mit ausgeprägtem Personenverkehr war kaum zu rechnen: Ganze drei Wohnhäuser und 15 Einwohner zählte man in Krebsöge zu dieser Zeit. Und doch entwickelte sich der Bahnhof zu einem Knotenpunkt bzw. Trennungsbahnhof.

Das lag vor allem daran, dass in Krebsöge ab 1910 zwei Strecken aufeinander trafen. Zum einen ging es von Lennep nach Krebsöge und ab 1888 über Beyenburg weiter bis nach Rittershausen (heute Wuppertal-Oberbarmen), zum anderen ging es von Krebsöge ab 1910 weiter ins Oberbergische Land über Radevormwald nach Halver und weiter bis Oberbrügge. Wollte man nun von Lennep nach Radevormwald mit dem Zug, hieß es in Krebsöge umzusteigen, denn eine direkte Verbindung gab es nicht. Diese sollte erst der Omnibusverkehr ermöglichen, welcher gleichzeitig auch das Ende Krebsöges einleitete.

Gleisplan Krebsöge (Radevormwald)

Es stellt sich nicht unbedingt als einfach dar einen vernünftigen, ehemals amtlichen Gleisplan zu bekommen. Also habe ich kurzerhand selbst einen erstellt, der im Wesentlichen alle wichtigen Ausbaustufen des Bahnhofs enthält.Gleisplan Krebsöge (Radevormwald)

Die rot markierte Weiche und das Gleisstück markiert die Strecke hoch von Krebsöge nach Remscheid-Lennep. Sie wurde 1956 stillgelegt und ausgebaut. Zurück blieb nur das Stumpfgleis für Rangiertätigkeiten. Heute ist alles, was auf dem Plan zu sehen ist, entweder nicht mehr vorhanden, oder geflutet. Bei Niedrigwasser kann man jedoch noch die alte Landstraße wieder auftauchen sehen. Auch die Schneise in Richtung Radevormwald, welche für die Bahn ins Massiv geschlagen wurde, taucht dann wieder auf.

Das Stellwerk und die Fußgängerunterführung

Zunächst ein paar Worte zum Stellwerk: Als Krebsöge 1910 durch die Strecke nach Radevormwald zum Trennungsbahnhof wurde, musste natürlich auch endlich ein Stellwerk her. Ganze 17 Weichen zählte der Bahnhof in seiner Spitzenzeit und neben dem Personenverkehr war natürlich auch der Güterverkehr entsprechend zu beachten. Bis 1910 wurde hier noch von Hand die Weiche umgelegt und alte Aufnahmen zeigen den Bahnhof noch ohne Stellwerk.

Gerade für Güter aus Radevormwald, man denke nur an das mit Gleisanschluss ausgestattete Bismarck-Werk in Bergerhof, ergab sich durch die Strecke hoch nach Lennep und von dort weiter nach Solingen, vor allem aber über die Balkantrasse Richtung Opladen, effiziente Möglichkeiten. Auflassung hieß es bürokratisch 1956, als das Teilstück von Krebsöge nach Lennep stillgelegt wurde. Es verblieb lediglich der kümmerliche Rest des Gleisanschlusses der Barmag, welcher bis zuletzt durch einen Tunnel unter der Straßenkreuzung Trecknase verlief. Mit der Stilllegung war das Stellwerk, welches auf dem Foto unten mit windschiefem Kamin und eingeschlagenen Fenstern von besseren Zeiten höchstens noch singen kann, seinen Nutzen. Es blieb aber bis zuletzt stehen, wenngleich es offenkundig längst nicht mehr in Betrieb war und die Spannwerke auch nur scheinbar um der Zierde Willen verblieben. Die Bahnsteigbeleuchtung in diesem Teil wurde allerdings doch noch mal modernisiert.

Es ist einigermaßen erstaunlich dass im kleinen Krebsöge ein Bahnhofsareal war, welches über einen Fußgängertunnel verfügte um den gut 200m langen, gepflasterten Inselbahnsteig zu erreichen. Zum Größenvergleich: Die zur Regionale 2006 neu gebauten Bahnsteige an der Strecke Wuppertal – Remscheid – Solingen haben alle nur noch einen 100m Bahnsteig. Der Bahnsteig 2 hatte ehemals tatsächlich auch eine imposante Überdachung, was einerseits durch die regenreiche Region naheliegend ist, andererseits aufgrund der Abgeschiedenheit der Strecke doch etwas verwundert. Den Krieg hat sie allerdings nicht überlebt und wurde auch nach dem Zweiten Weltkrieg gar nicht erst wieder aufgebaut. Ein Tiefflieger hatte es hier unten auf einen Personenzug abgesehen und dabei die Überdachung zerstört. Das Ständerwerk wurde schließlich Ende der 50er Jahre entfernt. Der lange Zeitraum ist nicht ungewöhnlich, da die Reparaturen natürlich nach Priorität abgearbeitet wurden. Auch Düsseldorf Hbf z.B. musste noch bis Ende der 50er Jahre ohne reparierte Überdachung auskommen.

Werfen wir einen weiteren Blick auf den Bahnsteig. Ein wenig verloren wirkt der Zweiteiler schon dort wenn man überlegt, dass der Bahnsteig noch für ganz andere Zuglasten ausgelegt war. Interessant ist die noch aus grauer Vorzeit stammende Bahnsteigbeleuchtung hier im hinteren Teil des Bahnsteigs, die, anders als die Bahnsteigüberdachung, den Krieg überdauert hat und an einem neuen Mast hängt. Ob es sich hierbei um Traditionsbewusstsein handelte, oder man schlicht noch verwendete, was noch zu verwenden war, sei dahingestellt.

Die genauen Geokoordinaten sind durch den Bau der Wuppertalsperre und die damit einhergehend veränderte Topografie (bzw. Überflutung) schwer zu ermitteln. Wer jedoch schon einmal über den Wupperdamm der Talsperre gegangen ist, dem dürfte der weitläufige Blick auf obigem Bild ziemlich bekannt vorkommen. Das Foto entstand also mehr oder weniger in Höhe der heutigen Staumauer. Die rechts hinter dem Bahnhofsschild durch die Bäume ersichtliche Bebauung hat, da vom Bau der Talsperre nicht beeinträchtigt, die Zeiten überdauert.

Das nächste Foto gibt noch einmal den Blick frei auf einen der typischen Roten Brummer, wie sie für die Zeit bereits allgegenwärtig waren. Nur noch wenige Leistungen am Tag wurden überhaupt noch von der sonst üblichen Zuggattung in Form von V100, Packwagen und Umbauwagen durchgeführt. Der Uerdinger Schienenbus war einfach die deutlich günstigere Variante um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Mit nur einem Bruchteil an Passagieren, verglichen mit einem normalen Zug, konnte wirtschaftlich gefahren werden. Deshalb gilt der Rote Brummer auch der „Retter der Nebenbahn“. Wie man heute weiß war aber auch das nur von begrenzter Dauer.

Wir sehen den Schienenbus auf dem Radevormwalder Gleis, welches seit den 50ern überhaupt die einzige Verbindung Krebsöges war. Ursprünglich war die Wuppertalbahn der Schlenker am östlichsten Rand des Bergischen Landes von Lennep über Krebsöge durch das Tal der Wupper nach Ritterhausen. Diese Trasse vermochte der Industrie eine spürbare Belebung zu verschaffen. Neben vielen kleinen und mittleren Stahlwerken waren und sind hier unter anderem noch immer Vorwerk (Thermomix) und Erfurt (Rauhfaser Tapete) ansässig, die einst alle über einen eigenen Bahnanschluss verfügten. Vom ehemaligen Wasserturm und dem Wasserkran ist natürlich längst nichts mehr zu sehen. Dafür steht die alte Werkstatt noch und wer sich das Foto in groß anschaut vermag vielleicht sogar noch eine Person vor der Tür erkennen – gespenstisch hier noch einen Bahnhofswärter anzutreffen, oder?

Von Krebsöge nach Radevormwald

Erst später und eigentlich zu spät für das nördliche Oberbergische Land kam die Erschließung von Radevormwald über Halver bis nach Oberbrügge. Die Eröffnung der Strecke nach Radevormwald erfolgte erst besagte 20 Jahre später. Entscheidende 20 Jahre in der die, die bereits über einen Gleisanschluss in die große weite Welt verfügten, ihren Vorteil ausspielen konnten. Ein Lied der Benachteiligung konnten all jene singen, die (noch) nicht von der Eisenbahn profitieren konnten, sie aber vehement forderten. Derart spät gebaute Strecken waren natürlich vor allem schwer erschließbare Strecken – so wie z.B. von der Wupper hoch übers Oberbergische bis ins Sauerland. Ähnliche Erfahrungen durften z.B. auch die ansässigen Firmen in der Eifel machten, wo die fehlende Eisenbahn zu einem existentiellen Standortnachteil des Gewerbes und letztendlich auch der Städte heranwuchs. Die Bahn bestimmte welche Regionen florieren konnten und welche abgehängt waren.

Bahnhof Radevormwald
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Bahnhof Radevormwald
CC BY 4.0

In der heutigen Zeit haben wir wieder eine ähnliche Diskussion: Während man Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mühsam auch das Hinterland mit der Eisenbahn erschloss und nachhaltig die Regionen urbanisieren konnte („Eine Stadt ohne Bahnhof ist einfach nur ein Dorf auf dem Land“), konnte es ab Mitte der 50er Jahre mit Aufkommen des erschwinglichen Individualverkehrs gar nicht schnell genug gehen all diese Trassen wieder stillzulegen. Der Rote Brummer hatte wie erwähnt einen entscheidenden Einfluss darauf, dass so manche Strecke doch noch länger lebte als gedacht. Für Radevormwald traf das nicht zu denn zu einem notwendigen Neubau der Trasse ist es bekanntlich nie gekommen und so war hier schon Ende der 70er Jahre Schluss.  Nachdem in Rekultivierungs- oder Renaturierungsmaßnahmen diese Bahntrassen zu Radwegen und ähnlichem umfunktioniert wurden, erinnert der Klimawandel heute wieder daran dass es da mal ein Nahverkehrskonzept gab, welches eigentlich gar nicht so schlecht war, doch zurück zu Krebsöge.

Das Bahnhofsgebäude in Krebsöge

Der zunehmende Bewuchs machte es gewissermaßen schwierig das ganze Ensemble irgendwie sinnvoll einfangen zu können, vor allem von der alten Ladestraße aus. So bleibt uns der gesamte trostlose Blick erspart und wir sehen ihn nur von der Seite:

Bahnhofsgebäude Krebsoege
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Bahnhofsgebäude Krebsoege
CC BY 4.0

Das Dach hat schon so manchen Ziegel verloren und auch sonst gibt sich das ehemals stolze Bahnhofsgebäude nicht unbedingt Mühe einladend zu wirken. Die Bahn war ohnehin nicht unbedingt gut darin sich ausgeprägt um ihre Hochbauten zu bemühen. Wen mag das hier verwundern? Der Abriss längst beschlossene Sache. Ob man im Sinne der Verkehrssicherungspflicht heute noch eine solch marode Bausubstanz irgendwo so stehen lassen darf, wo zumindest mit regelmäßigem Publikumsverkehr zu rechnen ist, darf indes bezweifelt werden.

Im Wesentlichen war das Bahnhofsgebäude in Krebsöge baugleich mit vielen weiteren auf der Strecke und der Region: Es wurde häufig in einer Art Baukastensystem auf immer wiederkehrende Elemente zurückgegriffen, wodurch der typische Bergisch-Märkische Bahnhofsstil entstand. Wer sich also noch einmal anschauen will wie es einst aussah, kann sich auf die Pirsch begeben und das tadellos erhaltene, da in Privathand verkaufte Bahnhofsgebäude in Dahlerau anschauen. Auch die Gebäude in Beyenburg sowie Dahlhausen weisen Ähnlichkeit auf. Entfallen ist heute natürlich die vorgesetzte, gläserne „Wartehalle“, welche aber ohnehin erst später dazugebaut wurde.

Heute ist von alledem in Krebsöge nichts mehr übrig. Unmittelbar nachdem die Fotos entstanden, begann der Abriss. Die Unterführung wurde verfüllt, alle Signale und Weichen ungültig und Krebsöge blieb in seinen letzten Jahren bis Ende 1979 ein einfacher Haltepunkt. Neben dem letzten sporadischen Güterverkehr kam im April 1982 auch die Abtragung der Trasse. Die Schienen verschwanden auf der Schiene selbst wupperabwärts und Bf Krebsöge war Geschichte. Heute endet die Strecke wenige 100m vor dem Staudamm am Prellbock. Die verbliebenen 13km ab Wuppertal sind in der Hand des Fördervereins Wupperschiene.

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Die Kartenansicht enthält alle Bilder, zu denen Standorte bekannt oder rekonstruierbar sind. Da es sich um historische Aufnahmen handelt, sind dies natürlich Näherungswerte und nicht auf den Meter genau.

2 Kommentare

  • Thomas Höfling schrieb
    | » Antworten

    Also die Seite über Krebsöge ist einfach großartig!! Nirgends sonst sind derartige Infos zu finden. Sehr ambitioniert auch der eigene Gleisplan. Herzlichen Glückwunsch!
    Die „Wartehalle“ war nicht für Reisende gedacht, sondern diente dem Bahnbediensteten zur besseren Übersicht des Bahnsteigs bei der Abfertigung.

    Jetzt werde ich weiter lesen 🙂

    Herzliche Grüße, Thomas Höfling

    • Hallo Thomas,

      vielen Dank. Getreu dem Motto „einer muss es ja machen“ landete das Schicksal bei mir, als die Filmrolle mit den Bildern durch den Scanner rauschte. 😉

      Schöne Grüße,
      Armin


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